Eine Schutzweste soll die kinetische Energie eines Geschosses soweit reduzieren, dass sie nicht ausreicht, den Westenkörper zu durchdringen. Die kinetische Energie wird dabei über den Westenkörper auf eine möglichst große Fläche verteilt und auf den Körper des Trägers übertragen. Dadurch sind Quetschungen und sogar Knochenbrüche möglich. Je nach Stärke der Schutzweste und eventuell vorhandener Schockabsorber (Traumaplatten) kann diese Wirkung reduziert werden. Das Geschoss selbst verbleibt im Westenkörper, kann diesen jedoch verformen und so zu Quetschungen am Körper des Trägers führen. Entgegen einem weitverbreiteten Missverständnis sind solche Schutzwesten also keinesfalls kugelsicher, sondern schützen den Träger nur bis zu einem gewissen Grad vor der tödlichen Wirkung bestimmter Geschosstypen. Ihre Wirkung beruht also nicht darauf, dass Kugeln etwa einfach abprallen, sondern dass die Energie des Geschosses auf eine größtmögliche Fläche verteilt und so dezentralisiert wird. So kann ein Durchschlagen der Weste und somit tödliche Verletzungen verhindert werden. Außerdem wird der Westenträger nicht nach einem Treffer mehrere Meter zurück geworfen. Das Umfallen des Getroffenen rührt lediglich von der Überraschung und dem Schmerz her. Dies lässt sich mit dem Impulserhaltungssatz beweisen. Laut diesem kann der Kraftstoß, den der Getroffene beim Aufprall erfährt, nicht größer sein als der Kraftstoß, den der Schütze beim Abschuss erfährt.
Die Schutzkraft einer Weste wird mit der sogenannten Schutzklasse angegeben. Hier haben sich weltweit mehrere Standards etabliert. Um ballistischen Schutz zu verifizieren, werden mehrere Proben bestimmten Tests unterworfen. Sie werden unter fest definierten Umweltbedingen beschossen. Aus Mittelwerten ergibt sich dann die Schutzklasse der Proben. Je nach Standard sind die Anzahl der Proben, die Umweltbedingungen, die Anzahl der Testschüsse pro Probe und die zu testenden Kaliber und Geschossgeschwindigkeiten und die damit verbundenen Schutzklassen definiert. Der wichtigste Standard ist der amerikanische NIJ-Standard (National Institute of Justice = Justizministerium)[1]. Jede Behörde oder Organisation mit entsprechendem Bedarf führt meist ihre eigenen Beschusstests entsprechend der eigenen Anforderungen durch. So auch die verschiedenen Streitkräfte. Bedeutend ist auch der Deutsche Beschusstest nach der Technischen Richtlinie für Schutzwesten der Polizei, der durch die staatlichen Beschussämter durchgeführt wird. [2] Am Ende eines Beschusstests wird einem bestimmten Stück Körperschutzausrüstung eine bestimmte Schutzwirkung attestiert. Ob diese in der gesamten Produktion dann konstant ist und wie lange sie bei den entsprechenden Körperschutzausrüstungen gewährt bleibt, ist Sache des Herstellers und des Abnehmers und muss durch Langzeittests und wiederholte Überprüfung von Produktionsexemplaren getestet werden. Die meisten Hersteller garantieren für fünf oder zehn Jahre die Schutzwirkung ihrer Produkte.
Die deutschen und amerikanischen Schutzklassen sind nicht ohne weiteres übertragbar, obwohl sich die für die Beschusstests verwendeten Kaliber ähneln. Die allgemeinen Bedingungen unterscheiden sich gravierend. So werden amerikanische Proben nur einmal beschossen, deutsche jedoch dreimal. Auch die Umweltbedingungen, unter denen getestet wird, unterscheiden sich. Dennoch wird allgemein die deutsche Schutzklasse (SK) 1 mit dem amerikanischen NIJ-Level IIIA gleichgesetzt. Beide definieren den Schutz gegen gängige Pistolenkaliber, wobei sich die verwendeten Kaliber ähneln. Auch die deutsche SK4 und die NIJ-Level III und IV werden oft verglichen. Sie definieren den Schutz gegen Beschuss aus Langwaffen. [3]
Über die Schutzklassen lässt sich also ganz allgemein sagen:
- SK L/1 und Level I/IIA: Schutz vor Pistolenmunition mit Weichkern und Rundkopf
- SK 2 und Level II: Schutz vor gängiger Pistolenmunition auch mit Hartkern
- SK3 und Level III: Schutz vor Langwaffenmunition mit Vollmantel und Weichkern
- SK4 und Level IV: Schutz vor Langwaffenmunition mit Vollmantel und Hartkern
Der Schutz gegen Stichwaffen, also Messer oder Nadeln ist bei den ersten beiden Schutzklassen nicht zwingend inbegriffen und muss zusätzlich erbracht werden und wird als Stichschutz bezeichnet. Bei den Schutzwesten der Schutzklassen 3 und 4 wird erwartet, dass diese konstruktionsbedingt auch Stichschutz gewährleisten.
Konstruktionsprinzipien [Bearbeiten]
Schutzwesten werden aus verschiedenen Materialien nach unterschiedlichen Konstruktionsprinzipien gefertigt. Man unterscheidet allgemein Hart- und Weichballistik. Bestimmte Schutzwirkungen lassen sich meist nur durch Kombination beider Prinzipien erreichen. So kann durch eine weichballistische Weste ein Rundumschutz nach Schutzklasse 1 erreicht werden. Hartballistische Einlagen an Front und Rückseite garantieren hier einen Schutz nach Schutzklasse 4. Nach diesem Prinzip werden die meisten Schutzwesten konstruiert. Die verwendeten Hartballistikplatten erreichen ihre Schutzwirkung dann nur in Kombination mit dem weichballistischen Westenkörper. Schutzwesten unterscheiden sich nicht nur in der Schutzwirkung sondern auch im geschützten Körperbereich. Die meisten Schutzwesten schützen nur die Körperbereiche mit der größten Fläche und damit der größten Trefferwahrscheinlichkeit, meist also den Torso. Durch zusätzliche Protektoren können je nach Westentyp aber auch die Körperseiten, der Genitalbereich, die Schultern, der Nacken, Arme und Beine geschützt werden. Dieser Schutz schränkt jedoch die Beweglichkeit des Trägers ein. Weitere Unterschiede ergeben sich aus der Konstruktion des Westenkörpers. Um die ballistischen Schutzeinlagen am Körper zu tragen und sie vor Beschädigungen im Alltagsgebrauch zu schützen, werden sie in Schutzwestenhüllen aus hochbelastbaren Textilien eingenäht. Diese können dann auch Befestigungsmöglichkeiten für zusätzliche Ausrüstung bieten oder aber auch ein verdecktes Tragen ermöglichen, etwa durch Angleichen der Farbe an die restliche Kleidung.
Das Geschoss trifft auf eine mehrschichtige Netz- oder Folienstruktur aus reißfestem Gewebe. Die Geschossenergie geht verloren, wenn das Geschoss die einzelnen Schichten durchdringt, indem es sie zerstört oder dehnt. Nach dem Durchdringen mehrerer Schichten hat das Geschoss all seine kinetische Energie verloren und bleibt stecken. Mit dem Aufkommen erster Schusswaffen konstruierte man Schutzwesten aus Seidenfasern. Heute verwendet man meist Aramidfasern unter Namen wie Twaron und Kevlar. Auch andere Materialien sowie Zylon und Dyneema werden verwendet. Diese Fasern sind extrem reißfest, verlieren ihre Eigenschaften aber nach einiger Zeit. Man spricht hier von einem Alterungsprozess, der materialspezifisch über mehrere Jahre verläuft und durch Einwirkung von UV-Licht noch beschleunigt wird. Auch Feuchtigkeit führt meist zum Verlust der Eigenschaften. Aus diesen Gründen werden die weichballistischen Schutzeinlagen der Schutzwesten in Kunststoffe eingeschweißt. Theoretisch lässt sich durch entsprechende Schichtzahl jedes beliebige Geschoss aufhalten. Aus praktischen Gründen werden weichballistische Schutzeinlagen jedoch nur zum Schutz gegen Pistolenkaliber gefertigt. Langwaffengeschosse haben aufgrund der spitzen Geschossform, der größeren Treibladung und den längeren Läufen der Gewehre meist das Vielfache der kinetischen Energie von Pistolengeschossen, um sie zu stoppen würde Schutzpakete von extrem großem Gewicht erfordern. Hier greift man auf hartballistische Einlagen zurück.
Prinzipiell trifft das Geschoss auf eine Platte aus einem harten Material und verteilt seine kinetische Energie auf diese. Die kinetische Energie wird von der Platte aufgenommen und führt zu Verformungen. Das Prinzip wird seit langer Zeit bei Rüstungen verwendet. Verwendet werden hier schon seit Jahrhunderten Metalle (ballistischer Stahl), aber mittlerweile auch Oxidkeramik- oder Polyethylenplatten. Moderne hartballistische Schutzplatten werden nach einem Schichtprinzip aus einer Kombination verschiedener Materialien gefertigt und haben eine Kurvenform, um die Auftreffenergie besser zu absorbieren, aber auch um sich der Körperform des Trägers anzupassen. Mit Platten lassen sich theoretisch je nach Materialstärke alle Arten von Geschossen stoppen. Die meisten Schutzplatten erreichen ihre volle Schutzwirkung aus oben genannten Gründen nur in Kombination mit weichballistischen Schutzpaketen.
Das US-Militär als weltweit größter Abnehmer hartballistischer Köperschutzplatten hat bei der Formgebung für eine gewisse Standardisierung gesorgt. Die meisten Platten haben eine Größe von 10×12 Zoll mit abgeschrägten oberen Ecken und werden dann als (E)SAPI-Plates (engl. (Enhanced)Small Arms Protective Insert) bezeichnet. Es werden aber auch andere Plattenformen hergestellt. Einen vollkommenen Rundumschutz mit hartballistischen Materialien zu gewährleisten galt lange Zeit wegen des Gewichtes von diesen Schutzeinlagen als nicht praktikabel. Rein hartballistische Schutzwesten wurden daher meist in Form so genannter „Plate Carrier“ realisiert. Hier werden nur Front und Rücken mit so genannten „Stand Alone“ Platten geschützt. Diese speziellen Platten können auch ohne darunter liegende weichballistische Schutzpakete Kugeln stoppen, sind aber schwerer.
Ein weiterer Ansatz ist Körperpanzerung, die sich wie ein Schuppenpanzer aus zahlreichen kleinen Elementen zusammensetzt. Die Rote Armee verwendete in den 1980er Jahren solche Westen mit Titanschuppen. Heute wird ähnliche Körperpanzerung mit Stahl und Siliziumcarbideinlagen als Dragon Skin [4] von einer amerikanischen Firma gefertigt. Der Vorteil dieses Konzeptes ist die Verformbarkeit der ballistischen Einlagen. Aufgrund der Überlappung der einzelnen Elemente geht dieses Verfahren allerdings mit einem um 30 bis 60 Prozent erhöhten Gewicht einher.
Beim Stichschutz ist die besondere Wirkweise von Stichwaffen zu beachten. Diese können schneidend, verdrängend oder stanzend wirken. Ein langer Schnitt mit einem Messer kann wahrscheinlich (nicht unbedingt) schon von leichten Schutzgeweben aufgehalten werden. Ein Stich mit einer Nadel wird den Westenkörper einer weichballistischen Schutzweste aber durchdringen. Um den Träger solch einer Schutzweste auch gegen Stichwaffen zu schützen, werden bei den leichteren Schutzwesten zusätzliche Einlagen aus Metallfolien und verflochtenen Metallringen verwendet. Die Folien schützen vor besonders spitzen Gegenständen mit stanzender Wirkung, z. B. Nadeln oder Kanülen von Spritzen. Die verflochtenen Metallringe, die einem Kettenhemd entsprechen, sollen der verdrängenden Wirkung von Messerklingen oder auch Äxten entgegenwirken. Bei den hartballistischen Schutzeinlagen der Westen mit den Schutzklassen 3 und 4 ist ein Stichschutz gewährleistet. Da diese Systeme meist nur Front und Rücken abdecken, muss hier bei Bedarf der Stichschutz an den Körperseiten dennoch mit den oben beschriebenen Mitteln sichergestellt werden. [5]
Der Schlagschutz ist nicht unbedingt Aufgabe und Bestandteil einer ballistischen Schutzweste. Da hier besonders die Extremitäten und der Kopf geschützt werden müssen, sind zusätzliche Protektoren und ein Helm notwendig. Diese bestehen meist aus Kunststoffen und sind mit Polsterstoffen ausgekleidet. Solche Protektoren haben meist keine ballistische Schutzwirkung, sind aber oft Bestandteil des Stichschutzes. Ihre Wirkung ist vornehmlich eine Reduzierung der Wuchtenergie stumpfer Gegenstände und die Verteilung der Restenergie auf eine große Fläche. Für den Einsatz im Bereich der Polizei und privater Sicherheitsdienstleister werden reine Schlag- und Stichschutzanzüge angeboten, die keine ballistische Schutzwirkung haben, aber meist aufrüstbar sind. [6]
Deutsche Soldaten bei SFOR mit Militärweste - Typ ST (SK 4) von Mehler. Umgangssprachliche Bezeichnung „Bristol“ nach der englischen Schutzweste, die 1992 zuerst bei der Bundeswehr eingeführt wurde.
Für ballistische Schutzwesten gibt es zivile, wie auch militärische Anwendungsbereiche. Personen, die einer erhöhten Bedrohung unterliegen, wie etwa Polizisten, Personen des öffentlichen Lebens oder andere erhalten durch sie bei Angriffen eine Überlebenschance. Bei der deutschen Polizei wurden zwischenzeitlich flächendeckend Unterziehschutzwesten eingeführt. Hierbei handelt es sich um verdeckt zu tragende Schutzwesten der SK 1. Für Polizisten in Spezialeinsatzkommandos existieren Überziehschutzwesten die meist einen größeren Körperbereich abdecken, um zusätzliche Protektoren erweitert werden können und in ihrer Schutzklasse anpassbar sind. Kampfmittelräumer tragen meist Vollschutzanzüge, die nur die Hände frei lassen. Hundertschaften der Bereitschaftspolizei tragen normalerweise keine ballistischen Schutzwesten, sondern Schlag- und Stichschutzwesten. In der deutschen Bundeswehr werden die Soldaten im Auslandseinsatz mit Schutzwesten der SK 4 ausgestattet. Für Soldaten im Inland werden so genannte Splitterschutzwesten vorgehalten, die vor Granatsplittern mit geringer Auftreffenergie schützen, jedoch nicht durchschusshemmend sind. Jeder Bundesbürger ist berechtigt, eine Schutzweste zu erwerben. Im Bezug auf den Besitz von Schutzwesten gibt es jedoch weltweit unterschiedliche Regelungen. In einigen Ländern ist Privatpersonen der Besitz oder das Tragen verboten, außerdem gelten meist Exportbeschränkungen.
Risiken und Nachteile [Bearbeiten]
Durchschusshemmende Westen sind keinesfalls „kugelsicher“. Wie eingangs beschrieben ist es nicht gewährleistet, dass der Träger nicht trotz einer Schutzweste innere Verletzungen wie Knochenbrüche oder Quetschungen davonträgt. Auch ist es immer noch möglich, dass Geschosse die Weste durchdringen, wenn die Schutzwirkung nicht ausreichend ist. Gerade Geschosse mit weichem Mantelmaterial sind dann wahrscheinlich schon aufgepilzt oder fragmentiert und geben schlagartig ihre Restenergie auf den Körper des Trägers ab, was zu großen und tiefen Wunden führen kann. Auch ist es wahrscheinlich, dass Teile der Schutzpakete, Splitter der ballistischen Platten und das Material der Hülle in den Wundkanal eindringen. Weiter bieten nur wenige Westen einen kompletten Schutz, so dass Geschosse Extremitäten immer noch verletzen können und durch die Öffnungen, etwa für die Arme immer noch in den eigentlich geschützten Bereich des Körpers eindringen können.[7] Ein weiteres Problem ist der schon beschriebene Alterungsprozess, der für ein Nachlassen der Schutzwirkung der Schutzpakete sorgen kann. Hier ist der Fall des Werkstoffs Zylon der japanischen Firma Toyobo zu erwähnen. Mit diesem Werkstoff schienen Ende der 1990er Jahre besonders leichte Schutzwesten machbar. Bei der Langzeiterprobung stellte sich aber heraus, dass dieser Werkstoff besonders schnell alterte und schon nach drei Jahren seine Schutzwirkung einbüßte.[8] Die Herstellerfirma der bei den Polizeien von Bayern und Nordrhein-Westfalen eingeführten Westen aus diesem Material ging aufgrund der darauffolgenden Schadenersatzforderungen in Konkurs.[9] Trotz dieser Tatsache werden nach wie vor Schutzwesten aus diesem Material hergestellt, beworben und verkauft.[10] Auch unsachgemäße Handhabung, etwa falschen Anlegen oder Beschädigung der Schutzweste kann zu einem Wegfall der Schutzwirkung führen. Weitere Nachteile sind die Tatsache, dass die Westenkörper die Transpiration des Körpers einschränken und gegebenenfalls zu einem Hitzestau führen können, sowie das Gewicht. Schutzwesten wiegen je nach Schutzklasse und Umfang zwischen wenigen Kilogramm bis zu 30 kg. Schutzwesten sind auch ein psychologischer Schutz, der einem Menschen in einem gefährlichen Umfeld ein Gefühl der Sicherheit vermittelt, aber immer wieder auch zu einem Überschätzen der Schutzwirkung der eigenen Ausrüstung führt.
Fortschritte bei der Entwicklung neuer Werkstoffe lassen eine weitere Erhöhung der Schutzwirkung weich- und hartballistischer Schutzwesten in naher Zukunft wahrscheinlich erscheinen. Besondere Aufmerksamkeit genießt hier die künstliche Spinnenseide und die Nanotechnologie. Hierbei insbesondere ein Verbundmaterial aus Wolframdisulfid, welches laut Herstellerangaben bis zu 250 Tonnen pro Quadratzentimeter aushalten soll. Letztendlich wird der Angreifer jedoch immer auf ein noch größeres Kaliber, eine noch stärkere Patronenlaborierung oder vielleicht einen völlig neuen Waffentyp zurückgreifen können.
Schlagschutzweste - mit Kevlareinlagen erweiterbar auf deutsche SK1